Sonntag, 23. Juni 2013

Kieler Woche


Früher war die Kieler Woche noch schön. Als Heinrich Lübke noch Bundespräsident war. Da ging die halbe Uni zur Eröffnung der Kieler Woche, weil seine Reden so wunderbar waren. Einmal sprach er nicht vom Balkon des Rathauses, sondern vom Balkon des Kultusministeriums an der Kieler Förde. Es waren beinahe nur Studenten als Zuhörer da. Seine Rede wurde von denen ständig kommentiert. Damals wurde noch viel kommentiert, vor allem im Kino. Was da alles in den Eddie Constantine Filmen in der Nachtvorstellung im Regina gesagt wurde - man hätte es mitschneiden sollen. Heinrich Lübke hat man mitgeschnitten, gab es auf einer Platte die ➱Redet für Deutschland heißt.

An jenem Tag, als Lübke an der Kieler Förde sprach, blieb ihm die studentische Unruhe nicht verborgen. Die Sitte des Kommentierens  war ihm wohl fremd, er ist wahrscheinlich auch nie in der Nachtvorstellung des Regina gewesen, um zum zehnten Mal Zum Nachtisch blaue Bohnen zu sehen. Das Staatsoberhaupt war leicht pikiert, und er sprach die schrecklichste Drohung aus, die ein Bundespräsident ausstoßen konnte: Wenn Sie weiter so ungezogen sind, dann erzähle ich Ihnen nichts mehr von der Kwiiin! Das sind Sätze, die man nie vergisst. Es erinnerte mich ein wenig an die Schwärmerei des Generalinspekteurs de Maiziere über die Königin ➱Sirikit wenige Jahre vorher.

Die Kieler Woche war auch noch schön, als Gustav Heinemann Präsident war. Ich bin ihm einmal am Abend auf dem Bellevue Fähranleger begegnet. Es waren vielleicht zwanzig Leute auf der Anlegerbrücke, die völlig überrascht waren, dass plötzlich der Bundespräsident vom Fährschiff kam. Ohne großes Gefolge. Die Leute traten verlegen zur Seite, einige klatschten. Neben mir war ein besoffener Prolli, der herumpöbelte: Ihr werdet doch alle von Pankow bezahlt, wenn ihr für den klatscht. Ich drohte ihm mit schnarrenden Offizierston an (den hatte ich noch drauf, weil ich damals in den Semesterferien häufig die Uniform zu Wehrübungen anzog), dass ich ihn in die Förde werfen würde, wenn er nicht sofort ruhig sei. Und plötzlich stand ein kleiner Mann in einem hellbraunen Anzug neben mir, der eine ovale Messingmarke aus der Hosentasche zog und fragte, was hier los sei. Ich sagte ihm, dass der besoffene Typ neben mir gerade den Bundespräsidenten beleidigt hätte. Und schwupps, hatte er den Prolli am Arm und führte ihn eine Seitentreppe des Anlegers hinunter. Eddie Constantine hätte das nicht besser gekonnt. Gustav Heinemann hat nichts davon gemerkt.

Betrunkene Prollis waren damals auf der Kieler Woche noch nicht die Regel. Heute schon. Damals war es noch eine Veranstaltung für Segler mit ein wenig kulturellem Beiprogramm. Ich beherbergte die Woche über immer Segler aus meinem Heimatort, die mir regelmäßig alle Alkoholvorräte wegtranken, mich aber immer mal auf ihrer Yacht mitnahmen. Das waren zuerst noch schöne Mahagoniboote, später wurden Rennziegen daraus. Also diese Dinger, wo unter Deck nichts ist, als eine Nähmaschine zum Segel nähen. Mit dem kulturellen Beiprogramm wurde es mehr, als ➱Dieter Opper Leiter des Kieler Kulturamts wurde. Der war freier Künstler, später ist er Kunstlehrer an der Kieler Gelehrtenschule geworden. Hier auf diesem alten Photo steht er rechts außen. Der kleine Typ links neben ihm ist Markus Lüpertz (mit dem Opper die Gruppe Großgörschen 35 gründete), der fährt heute Rolls Royce und trägt Maßanzüge. Dieter Opper ist leider schon tot, aber so wie Lüpertz ist er nie herumgelaufen. Er trug immer Cordjacketts und Cordanzüge, hatte die Haare schulterlang, anstelle eines ➱Schlipses baumelte ihm selbstgemachte Kunst auf der Brust.

Er hat in den acht Jahren in Kiel als Leiter des Kulturamts sehr viel bewegt (er hat sicher in Bremen, wo den Rang eines Staatssekretärs bekam, auch viel bewegt, aber glücklich war er da nicht). Und er hat die Spiellinie auf der Kiellinie erfunden. Kilometerlange kostenlose Kreativität auf der Kieler Woche. Das war toll. Es gab von Opper auch ein bisschen Theorie dazu, die von gesellschaftlich notwendige Entwicklung kreativer Fähigkeiten, die Herausbildung bewußter Wahrnehmung und die damit verbundene Befähigung zur Auseinandersetzung mit Lebensbedingungen und ihrer möglichen Veränderung sprach. Theorie musste damals sein. Spielen ohne Theorie geht nicht. Ich habe eine englische Straßentheatergruppe mit dem schönen Namen Sheer Madness nicht vergessen, die da einen Hamlet in fünfzehn Minuten aufführten. Mit Gesangseinlagen. Da war Zadeks ➱Hamlet in Bremen nichts dagegen. Die Gruppe war von einer Frau namens ➱Minnie Marx gegründet worden (die auch beinahe alle Hauptrollen spielte), und Sheer Madness waren wirklich gut. Ohne alle Theorie. Heute gibt es immer noch eine Spiellinie, aber mit der Kreativität ist es dahin, da herrscht der Kommerz. Und die Bierbuden und der Schwenkgrill. Dicht an dicht. Und dazwischen Millionen von Besuchern, weil dies das größte Volksfest Europas sein soll. Heute definieren sich Volksfeste durch die Besucherzahlen. Und die Zahl der Bierbuden, Schwenkgrills und der Dixie Klos.

Gesegelt wird auch noch irgendwo, weit draußen in der Förde, aber das scheint niemanden mehr zu interessieren. Die Zeit, da Albert Einstein auf der Kieler Förde segelte, ist unwiederbringlich vorbei. Die Tage, in denen Theodor Fontane die Förde mit Gelb wird das Laub, es rötet sich die Frucht, In blauer Stille liegt die Kieler Bucht, Es schweigt der Wind, die Fläche zittert kaum, Und nur die Möwen sind wie Wellenschaum bedichtete, sind auch passé. Jetzt ist Ballermann angesagt, Lotto King Karl kommt auch. Und bekannte Stars aus Verbotene Liebe und anderen Vorabendserien. Wenn das nichts ist.

Viele Kieler meiden jetzt die Stadt und das Fördeufer. Dieser Blogger auch. Ich war am Donnerstag zu letzten Mal in der Stadt, um mir eine Dose Tabak zu kaufen. Der Händler sagte mir, eigentlich könnte er seinen Laden jetzt dichtmachen. Die dreihunderttausend Besucher pro Tag verirren sich nie in die Nebenstraßen, und die Kunden kommen sowieso nicht mehr in die City, weil die abgesperrt ist. Auch die großen Läden entlang der Holstenstraße klagen regelmäßig über Besucherschwund. Wer sich von Bierbude zu Bierbude und Schwenkgrill zu Schwenkgrill bewegt, kauft nicht noch bei P&C oder Anson's ein. Die Stadt Kiel klagt auch, weil die Kieler Woche für sie jedes Jahr ein Zusatzgeschäft ist. Aber sie haben ja einen solventen Sponsor, einen Premiumpartner, der HSH Nordbank heißt. Das ist diese Bank, die immer hart an der Pleite segelt (um mal in der maritimen Bildlichkeit zu bleiben).

Ich habe am Donnerstag nicht nur Tabak gekauft, ich bin noch bei ➱Kellys reingehuscht, um Herrn Rieckhof Tschüs zu sagen. Und da war dieser nette Vertreter der Firma Dinkelacker, hatte drei Koffer voll mit den Modellen der laufenden Kollektion. Da musste ich natürlich etwas bleiben. Habe auch einen Katalog bekommen, obgleich er eigentlich keinen mehr hatte. Im Schwäbischen würde man dazu sagen, dass ich ihm den aus dem Kreuz geleiert hätte, sagte er augenzwinkernd. Wenn Sie jetzt keinen Katalog haben, klicken Sie einfach ➱hier. Oder lesen Sie den netten Post, der ➱Dinkelacker heißt. Ich habe jedes Jahr zur Kiel Woche meinen Heuschnupfen, dafür kann die Kieler Woche zwar nichts, aber ich bin dann immer mit entzündeten Augen und laufender Nase etwas misslaunig. Und deshalb bete ich immer zum Wettergott, dass er uns eine Woche Regen bescheren möchte. Wenn es regnet, fliegen die Pollen nicht. Und die drei Millionen Touristen werden klatschnass. Die ersten beiden Tage der Kieler Woche hat mich der Wettergott jetzt schon erhört.

Noch mehr zur Kieler Förde finden Sie hier unter ➱Max Oertz und ➱Cutty Sark. Cutty Sark ist witzig, dies hier heute ist eher traurig.

1 Kommentar:

  1. Da hab ich doch den Grund der Affinität des Besitzers dieses Blogs für militärische Historie geahnt: er beherrschte also einen schnarrenden Offizierston. Nun, den beherrsche ich gelegentlich auch, stand doch in früheren Beurteilungen auch mal was über die "zu übende kommandeursmäßige Stimme", was mich rückblickend immer etwas beschämt. Einmal, weil so was beurteilungsrelevant war und zweimal, weil ich das wohl nicht von Anbeginn des Uniformtragens beherrschte.

    Eim Mahagoni Boot befindet sich im Besitz der Familie und in meiner Obhut. Für die Kieler Woche ist es zu klein und für die See nicht zugelassen. Das macht zwar nichts, denn wie wir gelesen haben, ist das Segeln dort zweitrangig geworden. Nun, das Boot bleibt da wo es ist, im MeckPom, in der Residenzstadt des Herzogs von Mecklenburg - Strelitz.
    Das heist, zur Zeit steht es in der Halle, es wartet auf einen Termin in der Werft.
    Wenn der ran ist, muss ich sparen, dafür hab ich dann mehr Zeit, Ihre Posts hier mit überaus wichtigen Kommentaren zu versehen, denn vorm Computer sitzen kostet kein Geld.

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